Stadtplanung und Clubs: Jutta Kleedorfer im Interview

In vielen wachsenden Städten werden Kulturräume als Erstes verdrängt, obwohl sie den Städten erst Leben einhauchen. Wie funktioniert Stadtplanung, welche Rolle können Städte einnehmen und wer ist am Zug?

Jutta Kleedorfer war 20 Jahre lang bis ins Jahr 2018 bei der MA 18 als Projektkoordinatorin für Mehrfach- und später auch Zwischennutzungen tätig. Sie hat vielen Projekten entscheidende Impulse gegeben. Sie kennt so viele Personen und Räume wie vielleicht keine Zweite in Wien. Magdalena Augustin hat sich mit ihr getroffen, um Antworten darauf zu bekommen, wie sich Clubkultur in der städtischen Entwicklung verankern lässt.

Magdalena Augustin: Wie definiert die Stadt Wien Zielgebiete, wo werden bei der Bebauung welche Entscheidungen getroffen? Und an welchem Punkt kommt die Kultur ins Spiel?

Jutta Kleedorfer: Da spielen mehrere Ebenen eine Rolle. Einerseits die stadtplanerische Ebene. Hier wird mindestens alle zehn Jahre ein Stadtentwicklungsplan formuliert (STEP), in dem regionale und inhaltliche Ziele bestimmt werden. Da wird auch festgelegt, welche Infrastruktur benötigt wird, also zum Beispiel Schulen, Kindergärten, Sporteinrichtungen usw. Kultur und entsprechender Raum wird hier auch immer wieder genannt, findet aber in der konkreten Umsetzung nicht immer Platz.

Gibt es dafür Leitlinien?

Bei der Aneignung von Gründen laufen auch Prozesse zur Entwicklung städtebaulicher Leitbilder mit, wo beispielsweise Richtlinien für Klimaschutz oder für die Gestaltung des öffentlichen Raumes erarbeitet werden. Parallel dazu werden in den jeweiligen Gebieten technische Untersuchungen vorgenommen, um die nötige Infrastruktur im Hinblick auf Wasser, Strom und Kanalisation zu prüfen. Eine Mischung aus Wiener Bauordnung und beispielsweise dem Klimaschutz- oder Smart-City-Programm gibt Maßstäbe vor, wie gebaut und entwickelt werden soll. Dadurch ergeben sich schon relativ viele Vorgaben.

Wie genau kommt also die Kultur in einen Stadtteil oder wieso auch nicht?

All diese Verfahren dauern ziemlich lange und Bereiche wie Kultur und Grünraum müssen sich klassischerweise hinten anstellen, wenn zuerst alle technischen und vorgeschriebenen Baumaßnahmen organisiert werden. In all diesen beschriebenen Planungsphasen wäre es zwar erwünscht, dass sich verschiedenste Ressorts in die Stadtplanung involvieren und ihre Bedarfe anmelden, aber die Ressorts müssen sich auch überlegen, ob sie das nötige Budget für ihre Bedarfe zur Verfügung stellen können. In dieser Tradition hat der soziale und kulturelle Sektor immer wieder zurückgesteckt. Hier geht es ja auch viel stärker um eine politische Frage als beim Bau von Schulen oder Wohnungen, die es eben einfach braucht.

Wer hat die oberste Hand? Wer leitet diese Prozesse?

Wenn es darum geht, diese Prozesse zu moderieren, zu organisieren und die Ergebnisse zu sammeln, sind es meist die Ressorts Stadtentwicklung, Stadtplanung und Stadtteilplanung. Also die MA 18, die MA 19 oder auch die MA 21. Oft sind es auch beauftragte Planungsbüros, die interdisziplinär besetzt sind. Aber all das sind Planungen, Visionen und Leitbilder. Bei der Übernahme der konkreten Aufgaben sind viel mehr Akteur*innen eingebunden. Da kann es manchmal passieren, dass kaum wiederzuerkennen ist, was im Vergleich zum städtebaulichen Leitbild am Ende wirklich gebaut dasteht.

Warum spielt Kultur eine untergeordnete Rolle?

In den letzten Jahren werden auch immer öfter städtebauliche Koordinator*innen engagiert, um Überblick über die Verfahren zu bewahren. Für solche koordinatorischen Aufgaben werden oft Techniker*innen beauftragt, deren Fähigkeiten es auch braucht. Aber technisches Personal betrachtet die Projekte oftmals eher so: „Hier muss der Kanal hin, da fährt der Verkehr und hier muss eine Schule integriert werden.“ Da geht es darum, dass einfach alles funktioniert, und nicht darum, wie viel Kultur oder Soziales hier ermöglicht wird. Das entspricht technischen Optimierungsvorstellungen und geschieht ohne böse Absicht.

Konkret müsste beim Gebiet um den Hauptbahnhof eine Kulturabteilung also sagen: „Wir hätten gern 1000 Quadratmeter, haben das Budget zum Bauen und melden das jetzt an“?

Ja, oder sie finden jemanden, der das für sie finanziert. Wenn ich als Kulturabteilung die Finanzierung nicht sofort parat habe, müsste ich zu Hause in meinem Ressort und meinen Abteilungen schauen, ob ich disponibles Geld in Aussicht habe. Und ob ich über eine Ausschreibung eine Organisation finden kann, die so einen Raum für alle möglichen Bedürfnisse wirklich bespielen kann. 

Wer könnte das sein?

Ich glaube, die Kulturabteilung muss sich überlegen: „Subventionieren wir Kulturprogramme, fördern wir hauptsächlich Produktionen oder erhalten und verwalten wir auch Räume? Oder bitten wir andere Abteilungen darum, Räume zu verwalten?“ Raumverwaltung benötigt spezielle Kompetenzen, das ist mehr als nur ein Kostenfaktor. Aus der Erfahrung mit vielen Zwischennutzungen muss ich sagen, dass es in den Reihen der Kulturschaffenden viele gibt, denen es zuzutrauen wäre, Räume zu verwalten. Da müsste man einfach Experimente machen.

Haben alle Ressorts ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie wichtig solche Räume sind?

Ich glaube, dieses Bewusstsein ist bereits weit verbreitet. In der Stadtplanung gibt es gar nicht viel Widerspruch gegen Kultur- oder Multifunktionsräume. Manchmal kommen aber viele Leute mit allen möglichen Sorgen, wie z. B. beim Kabelwerk in Meidling. Das war unfassbar, wie viel Widerstand es da aus den umliegenden Siedlungen und der direkten Nachbarschaft wegen Angst vor Lärm oder Ähnlichem gab. Aber nicht im Planungsverfahren!

Wäre es sinnvoll, dass die Stadt selbst für mehr Räume sorgt, z. B. nach dem Vorbild der Volkshochschulen als Kulturzentren im Bezirk?

Früher gab es ja die Häuser der Begegnung. Die sind etwas aus der Mode gekommen und von der Ausstattung her wahrscheinlich überholt. Die müsste man überarbeiten, aber der Gedanke stimmt schon! Zuerst müsste ich mich als Stadt aber dazu durchringen zu sagen: „Ja, wir brauchen Objekte, nicht nur Subjekte, die wir fördern.“

Viele clubkulturelle Kollektive wünschen sich einen Raum, der selbstverwaltet ist. Was kann die Stadt hier beitragen?

Ich bin skeptisch, ob wir als Stadt so viele „Kleingärten“ vergeben können. Ich sage nicht, jede*jeder soll ständig umziehen, auf keinen Fall. Aber wir brauchen auch neue, multifunktionale Räume und wir müssen endlich lernen, solche Orte zu schaffen, zu teilen und gemeinsam zu nutzen. Sonst kommen wir mit den Ansprüchen an Raum einfach nicht mehr zurecht. Wenn es neben Mehrfachnutzungen noch möglich wäre, private und kleinteilige Arbeits- oder Kulturräume zur Verfügung zu stellen, wäre das schön. Aber die Orte, die ich mir vorstelle, die Stadtteile bereichern und aufwerten, die sollten nicht privatisiert sein. 

Bräuchte es nicht beides? Einerseits die Förderung leicht zugänglicher Orte und Infrastruktur für Kunst und Kultur und andererseits mehr Möglichkeiten für Kulturinitiativen, etwas Eigenes aufzubauen.

Wie gesagt, so etwas zu organisieren macht man nicht nebenbei. Das muss man sich bewusst vornehmen. Selbstorganisation und die deren Förderung waren in Wien nie starke Schwerpunkte. Wenn ich als Stadt mehr Selbstverwaltung möchte, muss ich das erst einmal zulassen, und das muss gelernt sein.

Wer wäre dann am Zug?

Die Kulturabteilung müsste bereit sein, den Bedarf an diese beiden Raumtypen zu formulieren und sich dann innerhalb der Stadt dafür starkzumachen. Bei der Finanzierung bräuchte sie dann Unterstützung. Dafür ist die Einsicht des gesamten Gemeinderats und der ganzen Stadt nötig, dass räumlich-kulturelle Infrastrukturen – und eben nicht nur Kulturevents – einen Teil der Stadtentwicklung darstellen. Auch für Bauträger*innen müsste das gelten, die sich im Sinne dieser städtebaulichen Verträge am Kanal oder an der Straße beteiligen. Diese Überzeugung sollte in den Wertekanon und auf die Liste bei Beteiligungsverfahren aufgenommen werden. All das sind politische Verhandlungen!

Wenn hier so etwas Großes gebaut und kommerzielles Kulturgeschehen im großen Stile finanziert wird, würde sich die Integration eines Kulturzentrums oder Clubs anbieten. 

Würde sich nicht etwa bei der „Stadthalle neu“ anbieten, ein paar Hundert Quadratmeter für Clubkultur mitzudenken? Lautstärke ist oft entscheidend, wenn es um das Überleben der Clubs geht. Bei einem Neubau kann beim Schallschutz ganz anders vorgesorgt werden.

Absolut, das ist eine absolut logische Idee. Man könnte dort einen Raum sogar halb in den Boden eingraben. Wenn hier so etwas Großes gebaut und kommerzielles Kulturgeschehen im großen Stile finanziert wird, würde sich die Integration eines Kulturzentrums oder Clubs anbieten. Es ist nachvollziehbar, dass sich einige Szenen in der aktuellen Situation nicht berücksichtigt fühlen. Aber wir müssen ohnehin unbedingt davon wegkommen, dass alles, was jüngere Kultur ist, automatisch mit Lärm verbunden ist. Und speziell bei der Clubkultur ist das oft die einzige Assoziation. Wien ist maßlos lärmempfindlich, das ist immer total schwierig, selbst beim Donauinselfest.

Im Grunde genommen müssten wir dorthin kommen, dass die durch Kultur verursachte Lautstärke nicht als Lärm abgetan wird, sondern dass sie wie die Geräusche von Kindern als Lebensäußerung eingeordnet wird. In einer Stadt kann es nie ganz leise sein. Auch wenn wir uns in der Stadtplanung natürlich immer bemühen werden, niemanden permanent zu beeinträchtigen.

Würde es nicht auch funktionieren, den Grund zu reservieren und die Finanzierung auf lange Sicht zu betrachten?

Natürlich könnte argumentiert werden, dass es ein Jahr Zeit braucht, um das zu organisieren, und dass der Ort so lange reserviert bleiben soll. Für das Kulturressort würde das bedeuten, wirklich mit den verschiedensten Gruppen zu arbeiten und sich vielleicht auch moderiert auszutauschen. Sich um all das zu kümmern, Räume aufzutreiben und dranzubleiben, vom Tagesgeschäft mehr ins Visionäre zu gehen: All das ist gar nicht so einfach und da bräuchte es noch mehr Ressourcen. Aber die Vermittlung muss aus der Richtung der Kultur kommen, denn nirgendwo sonst liegt dieses Wissen.

Du kannst Techniker*innen damit beauftragen, eine Stadthalle zu bauen, das werden die hinkriegen. Aber wenn du denen sagst, dass sie einen vielfach nutzbaren Raum zum Experimentieren für junge Kulturinitiativen bauen sollen, dann haben die lauter Fragezeichen im Gesicht. Es wäre so wichtig, dass technisches Personal besser nachvollziehen kann, was wir unter Kultur verstehen. Man müsste viel mehr gemeinsame Exkursionen machen, es bräuchte viel mehr Zeit für solch eine Vermittlungsarbeit.

Und dann war der Kulturstadtrat beeindruckt und wir hatten seine Unterstützung. 

Genauso fällt es der Clubszene oft schwer zu vermitteln, dass es um viel mehr als nur ums Feiern geht. Ohne das direkte Erlebnis ist das schwierig zu erklären.

Ja genau! Das erinnert mich daran, wie wir vor über 15 Jahren versucht haben, dem damaligen Kulturstadtrat Mailath-Pokorny das Fluc näherzubringen. Er war anfangs überhaupt nicht begeistert, dass wir schon wieder mit irgendeinem Ort daherkommen. Aber wir haben gesagt, dass dieser Club im Prinzip ganz viele Junge subventioniert, die auf seinem Raster noch nicht mal gelandet sind und normalerweise gar keine Chance haben, bei ihm etwas abzuholen. Im Fluc wird Kultur unterstützt und der Raum wird vielfältig und großzügig genutzt. Außerdem werden hier Gehälter und Steuern gezahlt, hier geht es nicht darum, Geschäfte zu machen. Und dann war der Kulturstadtrat beeindruckt und wir hatten seine Unterstützung.

Ich kann mich noch an den Abteilungsleiter für den Brückenbau erinnern. Den hat es geschüttelt vor Graus, weil der Ort runtergekommen war und die Toiletten gestunken haben. In Bezug auf die Räume einer Stadt muss nicht jede*r dasselbe Potenzial sehen oder dasselbe wollen, aber es muss die Möglichkeit geben, sich darüber zu unterhalten, dass es unterschiedliche Betrachtungen der Welt und somit auch unterschiedliche Bedürfnisse gibt.

Was kann die Kultur- und Clubszene selbst machen? Wo kann sie sich einbringen, welche Mittel hat sie, um mitzureden?

Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, zur jetzigen, sozusagen stillgelegten Zeit würde es sich anbieten, an die Stadt heranzutreten und sich für die Möglichkeiten „nachher“ vorzubereiten. Das bedeutet, noch mehr und klare Argumente zu sammeln, warum die Clubkultur ein Teil von Wien ist und sein muss. Eine möglichst breite Palette an Beiträgen und Argumenten von verschiedensten Leuten, vielleicht auch von Prominenten oder Bezirkspolitiker*innen, ist hier bestimmt nützlich und könnte auch durch eine Befragung oder Kampagne erreicht werden. Auch Wünsche und Notwendigkeiten bezüglich Einbeziehungsmöglichkeiten könnten kommuniziert werden. Oder auch das Organisieren von Veranstaltungen, wo Diskussionen stattfinden und Informationen ausgetauscht werden, z. B. mit der MA 36.

Leider gibt es ja immer noch viele negative Zuschreibungen und verzerrte Wahrnehmungen bezüglich der Clubkultur und ihrer Szene. Hier muss weiterhin deutlich gemacht werden, dass es um etwas anderes geht als Ruhestörung und dass Clubs mit den sonstigen Bedürfnissen in einer Großstadt vereinbar sind. Es braucht also eine klare Bestätigung der Existenzberechtigung der Clubs und der Clubkultur in Wien und diese Botschaft muss mehrere Adressat*innen erreichen.

Dipl.-Ing.in Jutta Kleedorfer war von 1998 bis 2018 bei der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung) als Projektkoordinatorin für Mehrfach- und später auch Zwischennutzungen tätig.

Mag.a Magdalena Augustin forscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit im „Interdisciplinary Centre for Urban Culture and Public Space“ (SKuOR) der TU Wien zu räumlichen Gestaltungsprozessen in Techno-Clubs des deutschsprachigen Raumes. Außerdem ist sie seit 2017 Vorstandsmitglied der IG Kultur Wien und ist schon viele Jahre als Veranstalterin und DJ mit dem Kollektiv „Gassen aus Zucker“ in Wien und international tätig. 

Die Vienna Club Commission befasst sich im
Auftrag der Wiener Geschäftsgruppen:

– Kultur und Wissenschaft
– Finanzen, Wirtschaft, Arbeit
   und 
Internationales
– Bildung, Jugend, Integration
   und Transparenz

Hauptfördergeberin

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